Irgendwo am Niederrhein soll einst in mythischer Vorzeit der Garten Eden gelegen haben. Paradiesisch ist das Land am unteren Rhein über weite Strecken auch heute noch – zumindest für diejenigen, die die stille Beschaulichkeit einer alten Kulturlandschaft massentouristischen Sehenswürdigkeiten vorziehen. Der Niederrhein ist eine Landschaft für Individualisten, für romantische Gemüter. Sie erfüllen die bis zum Horizont reichenden Ebenen mit ihren Träumen, geraten ins Schwärmen beim Anblick der nebelverhangenen Flussläufe, der knorrigen Kopfweiden und einsamen Gehöfte, machen die alten Mühlen und Burgen und Schlösser zum Schauplatz ihrer Phantasie. Die Reiseromantiker des Niederrheins haben einen geheimen Lieblingsplatz, zu dem es sie in regelmäßigen Abständen immer wieder hinzieht: Tüschenbroich, im Westen von Mönchengladbach, in der Nähe von Wegberg, an der Quelle der Schwalm gelegen.
Sie kommen aus der näheren Umgebung oder aus dem Ruhrgebiet, die lärmgeschädigten Großstädter, schreibtischmüde Bürokraten, auch solche, die einfach das Frühjahr begrüßen oder den Sommer verabschieden wollen und dazu in Tüschenbroich ein angemessenes Ambiente gefunden haben. Es ist ein gediegenes Ensemble, das sich dort auf einer Fläche von rund hundert Hektar präsentiert: ein altes, noch bewohntes Schloss, einem Weiher vorgelagert in dessen Mitte eine baumbewachsene Wehrmotte aus dem 8. Jahrhundert aufragt, eine kleine Kapelle mitten im Wald, eine alte Ölmühle, deren Rad sich noch heute dreht, schließlich die frühere Getreidemühle, in der sich der Erholungssuchende fürstlich stärken kann.
Die alten Gemäuer erzählen Geschichte – und Geschichten. Sie bergen die Erinnerungen an politische Verwicklungen und familiäre Tragödien, an freche Müller und maßlose Fürsten, an verbrannte Hexen und ermordete Söhne. Dort, wo die Fakten die Chronisten im Stich lassen, helfen die Legenden nach, verweben Wahrheit und Fiktion zu einem Band, das sich schillernd um den historischen Kern schlingt.
Die Geschichte Tüschenbroichs sucht ihresgleichen in der näheren und weiteren Umgebung. Wanderer, die auf den stillen Waldwegen dahinschreiten, spüren die Aura des Besonderen, die vom Schloss, von den Mühlen und von der Kapelle ausgehen, und lassen sich ein ums andere Mal davon bezaubern. Die wenigsten jedoch kennen jene Geschichte, die irgendwann vor mehr als tausend Jahren auf jener kleinen Insel inmitten des Weihers ihren Ausgang genommen hat…